LAURENCE ROGEZ
> homo viator <
der Mensch auf dem Weg zur Mitte
Einführungsrede von Christophe Rogez
Ausstellungen in der Lukaskirche und im Rathaus Gerlingen
Vom 20.Januar - 3.März 2002
1. Begrüßung
Liebe Kunstfreunde, ich darf Sie ganz herzlich begrüßen zur Eröffnung der Ausstellung von L. Rogez. Ganz besonders begrüße ich die Gerlinger Kunstfreunde, den Gastgeber Herrn Bürgermeister Brenner. Der Stadt Gerlingen einen herzlichen Dank für die Möglichkeit hier in diesen schönen Räumen und in der Lukaskirche die Ausstellung zeigen zu dürfen mit dem Titel :> Homo Viator <, der Mensch auf dem Weg zur Mitte.
Der erste Teil der Ausstellung wurde letzten Sonntag in der Lukaskirche eröffnet. Dort hatte Herr Pfarrer Boy einige Arbeiten auf sehr einfühlsame und eindrückliche Weise als Bild-Meditation mit in den Gottesdienst integriert. Auch ihm ganz lieben Dank!
Jeder Mensch ist eine Sonnenkönigin
Interview von Sarah Bude für die Zeitschrift „Mellifera“ 2017
Laurence Liebenguth-Rogez arbeitet seit 1983 als freischaffende Künstlerin. In ihren Werken beschäftigt sie sich intensiv mit den Bienen, ihrem Wesen und den Substanzen des Bienenstockes mit dem sie künstlerisch arbeitet.
Liebe Laurence, Du hast Kunst und Malerei studiert. Wie sind die Bienen in Deinen Werken gelandet?
Ganz einfach: Sie kamen angeflogen und waren da. (lacht) Nein, ich bin ein sehr naturverbundener Mensch und habe schon als Kind mehr Zeit draußen in der Natur als drinnen verbracht. Mein Interesse mehr über die Welt der Bienen zu erfahren wuchs und wuchs. Ich besuchte diverse Bienentagungen und Imkerkurse. In mir reifte der Gedanke mit den Bienen künstlerisch zu arbeiten. 2005 war es dann endlich soweit. Ich steckte mitten in den Vorbereitungen für meine erste Bienenausstellung und plötzlich wurde in der Presse über das erste große Bienensterben in den USA berichtet. Für mich war das ein eindeutiges Zeichen, meine Kunstinstallation war wie ein Spiegel des Bienensterbens, so wie die Bienen selbst auch im kleinen einen Spiegel unseren größten Umwelthemen sind, sei es Klimawandel, Genmanipulation, Ernährungsfragen, künstliche Zucht, soziales Zusammenhalten. Als ich dann noch einen Bienenkorb in meinem Garten aufstellte und direkt ein Schwarm einzog, war es vollends um mich geschehen.
Was fasziniert Dich so an den Bienen?
Für mich ist das Thema Licht und Wärme wesentlich. Ich bin immer auf der Suche nach dem Lebendigen. Zudem arbeite ich beinahe ausschliesslich mit den verschiedenen Materialien des Bienenstockes wie Pollen, Wachs, Honig, Propolis - sie geben mir sehr viel Inspiration, zumal sie auch noch eine starke heilende Wirkung haben.
Die Bienen symbolisieren so unglaublich viel: sie wurden schon immer als heilig angesehen und verehrt, für mich sind sie ein Symbol der Auferstehung und sind Vermittlerinnen zwischen Sonne und Mensch, sozusagen Sonnentiere. Das Wortvon Rudolf Steiner „Was in unserem Herzen reift, wenn wir lieben, dass ist im Bienenstock Substanz geworden.“ drückt genau dieses Mysterium aus, welches mich am meisten bei den Bienen fasziniert!
Wie kann man sich den Entstehungsprozess Deiner Arbeiten vorstellen?
Bei meinem Projekt „Apis Regina / Mella D107“ sollte es um Kunst im Honig gehen. Ich gestaltete jedes der 107 Gläser individuell, beispielsweise mit Motiven aus dem Bienenleben wie der Bienentanz. Mir ging es um das Spiel und die Transparenz der Materialen (Bienenwachs, Blattgold, Tusche) im Honiglicht.
Davor nahm ich an einem homöopathische Verreibung einer Bienenkönigin teil, diese Meditationsarbeit hat mich wahnsinnig beeindruckt, mir wurde bewusst wie stark die Bienenkönigin in ihrer eigenen Mitte ruhend war, als ob sie selbst das sonnige Gottes inneren Kern wäre. So kam ich auf die Idee ein wenig von der entstandenen homöopathische Substanz Apis Reginain die Gläser zu ergänzen, so wurden daraus „Heil-Honigkunst Gläser“, quasi ein Wundheilungsmittel im Glas... Der Erlös der Kunstaktion kam Mellifera e. V. zugute.
Für ein anderes Projekt, „Apis Stella“, beschäftigte ich mich intensiv mit den Bienensubstanzen und stellte fest, dass es sieben gibt (das Bienengift ausschließend) - Propolis, Gelée royale, Honig, Pollen, Nektar, Wasser und Wachs. „Verrückt“, dachte ich mir, denn es gibt ja auch sieben Planeten und sieben Lebensprozesse. Für mich war das damals die Entdeckung schlechthin (lacht). Nun, dies inspirierte mich zu einer Installation mit sieben Bienenkörben zu den sieben Planeten. Ich präsentierte es 2005 auf dem Beuys-Symposium, welches passenderweise sieben Tage dauerte. Jeden Tag stülpte ich einen Korb um.
Im darauffolgenden Jahr habe ich das Ganze dann malerisch umgesetzt, „Apis Stella 2“. Ich arbeitete an sieben großformatigen Leinwänden mit Blattgold, Kupfer, Bienenwachs, Waben, Eisen, Erde, Propolis, Beize, Schachtelhalm, Bienenwaben und Pflanzenfarben. Es war ein Spiel mit den Substanzen, weniger „Gemaltes“, jede einzelne Tafel war ein Gewordenes und ein Werdenes.
Was möchtest Du mit Deiner Arbeit erreichen bzw. wen ansprechen?
Puh, „erreichen" finde ich ganz schwierig, weil ich kein festes Ziel oder Vorstellung habe. Mittlerweile fühle ich mich eher als Vermittlerin, wie die Bienen, denn als Künstlerin. Das Thema Liebe, Devotionskraft ist mir sehr wichtig, das ist ein Bienenthema, die Bienen sind permanent in dieser dienenden Haltung, in der selbstlosen Liebe in allen ihrer Tätigkeiten. Sie zeigen uns diese grosszügige Liebesfähigkeit so dass vor einem Bienenstock das Gefühl entstehen kann "Ich bin klein, der Bien ist groß“ in Anlehnung an Johannes der vor dem Kreuz sagt „ich bin klein, Er muss wachsen". Das Weibliche beschäftigt mich immer mehr, denn wir brauchen in der heutigen Welt verstärkt eine neue, starke und feine Weiblichkeit. In den Seminaren arbeiten wir natürlich auch viel mit den Bienensubstanzen, es ist alles eine Einheit, die Bienen gehören immer dazu. So biete ich seit kurzem auch Massagen an, aber natürlich auch mit Bienensubstanzen, nämlich mit Honig (lacht). Für mich ist jeder Mensch ein Künstler und jeder Mensch eine Sonnenkönigin!
Vom Wunder der Umwandlung
Laurence Rogez: Apis Stella I/II oder > Leben heißt, den Tod anhalten <
Ein Gesamtkunstwerk wird es sein, was im Frühjahr bis in den August hinein erlebbar wird: 107 Gläser Honigkunst zugunsten des Vereins Mellifera e.V., der sich für die wesensgemäße Bienenhaltung stark macht, die Speisekarte, die den Honig als Geschenk der Bienen würdigt und die Kunst - neben den großen Zyklen zusätzlich weitere Kunstwerke an Fenstern und Tischen.
Laurence Rogez hat ein besonderes Verhältnis zu Bienen. Ihr Vater, Hobbytierfotograf, führte seine Tochter sonntags in die Natur, ins elsässische Ried, Pantheismus anstelle eines Kirchgangs. So begleiten die Bienen das Leben und inzwischen auch das Werk der kraftvollen Künstlerin, deren Gestaltungsmittel allesamt aus der Natur entnommen sind. Für die Bienenprojekte ganz besonders – zu den Erdfarben, der Asche, dem Sand, den Pigmenten, dem Blattgold, dem verriebenen Edelstein kommen nun das Wachs, die Wabe, die Jute, mit dem die Bienenstöcke bedeckt sind und sogar der Bienenkorb selbst als Heimat einer Gemeinschaft voller Wunder.
Sieben Substanzen sind es, mit denen die Bienen arbeiten, entdeckt Laurence Rogez bei ihrer Arbeit – Propolis, Gelée royale, Honig, Pollen, Nektar, Wasser und Wachs. Sieben Planeten können dazu in Verbindung gebracht werden, ebenso die sieben Lebensprozesse, so dass daraus eine ganz eigene Arbeitsbasis sich ergibt:
Propolis: Sonne, Wärmung
Gelée royale: Mond, Reproduktion
Honig: Mars, Wachstum
Pollen: Merkur, Atmung
Nektar: Jupiter, Ernährung
Wasser: Venus, Absonderung
Wachs: Saturn, Erhaltung
Ausgehend von dieser Versuchsbasis, gestaltet Laurence Rogez ihre neuen Kunstwerke. Den Bienen gleich, die aus Nektar, Pollen, Propolis und Wasser aus dem Schoß der Natur durch ihre eigene innere Tätigkeit Gelée royale, Honig und Wachs erzeugen und so die Vierheit zur Siebenheit erhöhen, formiert sie sieben Bilder mit Blattgold, Kupfer, Bienenwachs, Waben, Eisen, Erde, Propolis, Beize, Schachtelhalm, Bienenwaben und Pflanzenfarben im Format 100 x 100 für > Apis Stella II <.
Es ist ein Spiel mit den Substanzen, weniger „Gemaltes“, es ist ein Prozess, jede einzelne Tafel ein Gewordenes und Werdendes. Aus dem, was die Natur gibt, entsteht Neues, Geschöpftes im besten Sinn, Weitergehendes, das entstandene Bild als Markierung auf einem Weg, der voranschreitet. Die Bienenrähmchen und Abdeckfolien stehen für das Gewordene, das Zeitliche, das Haus der Bienen. Als Gegensatz stellt Laurence Rogez am PC veränderte Bilder dazu. Die Sechseckform taucht häufiger auf, doch nicht statisch, nicht verlässlich, nicht starr: > Les larmes de Ré < zeigt Beweglichkeit, bei aller Systematik summt und brummt der Bienenstock. Bei > Vivre, c'est retenir la mort < findet sich zentral ein Schachtelhalm. Die siliziumhaltige Pflanze symbolisiert wie kaum eine andere Aufrichtekraft und steht so auch sinnbildlich für die Kristallisationsprozesse im Menschen. Mensch und Biene, eine Symbiose? Oder doch eher in unserer Zeit ein einseitiger Ausnutzungspakt?
Hier öffnet Laurence Rogez Türen zu einer neuen Sicht auf die Biene. Die Biene wurde in vielen alten Völkern verehrt, sie ist biblisch „das Land, wo Milch und Honig fließen“, aus Pflanzlichem wird Lebenskraft, ein weibliches Prinzip, und doch findet sich in der Organisation des Bienenstaats und seiner Leistung, eine konstante Temperatur, dem menschlichen Körper gleich, zu halten, auch Männlich-Ordnendes. Die einzelne Biene ist Teil ihres Volkes, im Verzicht auf die eigene Fortpflanzung schenkt jedes Tier dem gesamten Stock seine Liebekraft - „Ich bin klein, der Bien ist groß“.
Die Biene im Zyklus, die dem Betrachter entgegen tritt, stammt von der Artemisstatue in Ephesus, das Dia wurde via PC verändert. So arbeiten moderne Technik, archaische Bilder, Erdsubstanzen und der lange Durchdringungsprozess im Geist der Künstlerin, das Kraftvolle, das ihrer Kunst so zu eigen ist, Hand in Hand, entsteht das, was die Biene am meisten ist – Mittler zwischen Sonne und Mensch; wie Christus sind Bienen Bewohner zweier Welten.
In unseren Breiten gibt es lediglich die westliche Honigbiene als Sammlerin, und das bei 20.000 Sorten weltweit – menschliches Handeln und unser unvernünftiges Entnehmen aus den Schätzen der Natur, ohne für einen Ausgleich zu sorgen, vernichten Bienenvölker, Milben haben leichtes Spiel. Ohne Biene keine bestäubte Blüte, ohne Blüte keine Frucht, ohne die unablässige Arbeit von Apis stirbt das Leben auf dem Stern – apis stella. Ein Mahnmal des Herzens, gestaltet mit den Mitteln der Natur, ein Prozess, der andere in Gang zu setzen vermag, wenn man nur zu lesen vermag.
> Apis Stella I < 2005, ist eine Installation mit sieben Bienenkörben und sieben Skizzenbüchern. An jedem Tag der Ausstellung wurde ein Bienenkorb umgestülpt. Auch hier die bedeutsame Siebenheit: Sieben Körbe, Planeten, Substanzen der Bienen und dazu sieben beispielhafte Urbilder des Weiblichen:
Propolis: Maât, Gelée royale: Melete, Honig: Moût, Pollen: Mellissae, Nektar: Isis, Wasser: Maria, Wachs: Sophia.
Entstanden ist ein Zyklus, der berührt und trifft – direkt ins Herz. Auf fragilen Stützen stehen die Körbe, so zerbrechlich wie unsere ach so sicher geglaubte Welt. Darunter verbergen sich die Skizzenbücher. Wie Schriftsteller Gedanken in ein Büchlein notieren, hat Laurence Rogez ihre Assoziationen, ihre Auseinandersetzung mit dem Thema, ihr Ringen um ihre Gestaltung festgehalten, Schöpfungsgeschichten.
Jede Seite dieser Skizzenbücher zeigt eine Folge von sechs Bildern, einen Weg in sechs meditativen Stufen: eine Metamorphose pro Blatt.
Die Biene war bei den alten Griechen das Bild der Seele, das Blumenfeld die Erde, der Leib und der Bienenkorb der Geist. So wird aus der Rundung des Bienenkorbs ein neuer Gedanke in die Welt geboren, golden strahlend, zartherzig Umfedertes im Nest, entsteht Leuchtendes in Blau und Gold, Verbindendes, Sakrales.
> Mon Amourabeille <
2006 nach dem massiven Bienensterben im letzten Winter, entstand dieser Zyklus, der sieben Bilder (200 x 50 cm auf Leinwand) thematisch mit den sieben Worten Christi am Kreuz verbindet.
1. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Lk 23,24
2. „Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du im Paradies sein.“ Lk 23,43
3. „Vater, in deine Hände befehle ich meinem Geist.“ Lk 23,46
4. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Mk 15,34 Mt 27,48
5. „Frau, siehe, das ist dein Sohn - Sohn, siehe, das ist deine Mutter.“ Joh 19,26
6. „Mich dürstet.“ Joh 19,28
7. „Es ist vollbracht.“ Joh 19,30
Biene und Christus, Bewohner und Mittler zweier Welten. Wie sich die Biene hingibt, gibt sich Christus am Karfreitag hin – unendliche Liebekraft, sieben Worte, sieben Bilder, verbunden durch diesen einen Gedanken, den Urgrund allen Seins. Die Erde als Mikrokosmos, darin der Bienenstaat, und das Ostergeschehen, das weit hinausreicht ins All, kreisend um den einen Gedanken der grenzenlosen Liebe.
„Wir haben ja auch Bienen in uns, nämlich unser Blut. Das Blut, das in unserem Körper herumzirkuliert, das verrichtet dieselbe Arbeit, welche die Bienen im Bienenstock verrichten“, umgesetzt in Bilder. Biene und Mensch – lernen sollten wir voneinander, das Heilende der Biene achten lernen, staunend stehen vor ihrer Leistung.
Zwischen „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ und „Es ist vollbracht“ bildet sich der Zyklus kraftvoll aus, verwandelt sich die irdische Biene in den kosmischen Christus, erscheint im Kleinsten das Größte in starkem Farbgegensatz zwischen dem warmen Gold der Wabe und dem Braunton der Walnussbeize, gehöht durch Blattgold, für Laurence Rogez ein wichtiger Werkstoff.
Am Ende des Zyklus umkreisen sieben Bienen das Herz Christi, als ob sich die Rosen in ein „Bienenkreuz“ verwandelt hätten. Das lässt sich sogar weiter meditieren!
Ihr Weg, gekennzeichnet von der Suche nach Licht, die sich in ihren Werken manifestiert, wird begleitet vom geistigen Weg, der Suche nach dem Licht der Erkenntnis. So geht es ihr immer um Verbindungen: Zwischen Erde und Kosmos, zwischen den selbst hergestellten Farben und dem Untergrund, zwischen dem Geist und der Materie, zwischen ihrem Herzen und dem des Betrachters. Kunst als Vermittler, getragen vom Ringen um Erkenntnis, umgesetzt in Werke, die sich nicht sperren, ihre Symbolik dem preis zu geben, der lesen mag.
So schließt sich mit > Stella Apis II <(vielleicht nur vorläufig) ein Kreis, kommt ein künstlerisches Werk an einen Ort, von dem aus geistige Inspiration vieles in die Welt getragen hat, stellt sich Kunst in einen höheren Rahmen an einem Ort, der der Ernährung dient – hier finden sich Bienen und Menschen auf vielfältige Weise zusammen.
Ihre Zyklen hat Laurence Rogez mit Rilkes Wort, das er auf französisch schrieb, verbunden:
„ Nous butinons éperdument le miel du visible pour l’accumuler dans la grande ruche de l’invisible“
„Wir trinken unablässig den Honig des Sichtbaren, um ihn in dem großen goldenen Bienenkorb des Unsichtbaren anzusammeln.“
Ein weiterer Text von Rainer Maria Rilke sei angeführt, um abschließend den Bogen zu schlagen zu den Vorgängerarbeiten von Laurence Rogez:
Alle Straßen führen
jetzt gerade hinein ins Gold:
die Töchter vor den Türen
haben das so gewollt.
Sie sagen nicht Abschied den Alten,
und ist doch: sie andern weit;
wie sie so leicht und befreit
anders einander halten
und in anderen Falten
um die lichten Gestalten
gleitet das Kleid.
Christine Krokauer, Würzburg
> Hirschbilder <
Im Werk der 1960 in Straßburg geborenen Künstlerin, nimmt die Serie > Hirschweihe < eine Sonderstellung ein. Es handelt sich um sechs Arbeiten in Mischtechnik auf Papier, alle im Format 70 x 100 cm, in denen das Motiv des Hirsches im Zentrum steht. Schwarzes Pigment, Goldpigmente, Asche und Erde aus Marokko und der Provence sind die Malmaterialen.
Der Blickpunkt des Bildes ist der rotbraune Körper eines Hirsches, der in seinem transparenten Malduktus das satte Schwarz des Bildgrundes, das die ganze rechte Bildhälfte hinterfängt, durchschimmern lässt. Über ihm erhebt sich eine breite kreuzartige Form aus körniger Asche in ein goldenes Viereck hinführend.
Golden ist auch ein breiter Strich, der Kreuz- und Rahmenform links begrenzt. Schwarze, weiße und braune vertikale Streifen, die die ganze Länge des Blattes bemessen, gliedern die linke Bildhälfte.
Aus dem Zentrum heraus benetzen das Bild, wie ein Geäder, die braunen Fließspuren des Geweihs: senkrecht über dem Hirschkopf erhebt sich der stärkste Ast; andere Verzweigungen ragen diagonal auf und legen sich fadenartig in die Waagerechte. Eine Serie von Kratzspuren vergittern die Streifen links oben und bilden formal ein Gegengewicht zum braunen Hirschkörper. Der Hirsch scheint wie in einer Bewegung innezuhalten, für einen Moment stillzustehen, abzuwarten. Seine ganze physische Präsenz verdichtet sich im Kopfbereich; er schaut hinein ins Bild, weit über den linken Blattrand hinaus. Sehend, hörend, riechend nimmt er umfänglich seine Umgebung wahr. Sein fühlerartiges Geweih scheint dabei Verlängerung seiner Sinnesorgane zu sein und verbindet, verwebt ihn auf das Vielfältigste mit seiner Umwelt. Wie an einer Schwelle hält das Tier hier vor dem zentralen weißen Streifen inne, in den sich seine Schnauze schattenhaft eingräbt.
Das warme, erdfarbene, auf weißem Grund hell strahlende Rotbraun ist Ziel seiner Bewegung, ist das- zunächst farblich- ihm Entsprechende und ist, wie die Öffnung über die Blattränder hinaus zeigt, Teil eines viel Größeren, für uns nicht sichtbaren Bereichs. Im scharfen Kontrast zu der amorphen Weichheit des Hirschkörpers zeichnet sich das äscherne Kreuz und die goldene Rahmenform ab. An die Urform eines Altars möchte man denken, an eine primitive, uralte Opferstätte.
Der Hirsch, so könnte man zusammenfassen, ist hier Träger höherer Wahrnehmungsfähigkeiten, ist selbst Teil einer größeren Lebendigkeit; darauf weisen die Farben hin. Zudem ist er in seiner körperlichen Beschaffenheit - sein Körper ist nicht nur transparent; er birgt einen Innenraum - Gefäß für anderes, etwa besondere Seelenqualitäten.
Ein Wesen an der Schwelle: vor dem Sinnbild des archaischen Altares, der mit dem Rumpf des Tieres verbunden ist, richtet er sich - seinen Körper, seine Wahrnehmung, seine Bewegung - hin zum Bereich der intensivsten, fast plastischen Farbigkeit. Sie mag für neues, junges Leben stehen, für Zukünftiges.
Wegen seines alljährlich sich erneuernden baumartigen Geweihes galt der Hirsch in frühen Kulturen als Symbol des sich unaufhörlich verjüngenden Lebens, des Kreislaufs der Natur, und der Neugeburt. In der altkeltischen Mythenwelt gelten Hirsche als Boten zwischen der Welt der Götter und jener der Menschen. Im Christentum ist er in Anlehnung an Psalm 42/43, 2 ein Bild des nach Gott dürstenden Menschen. Häufig findet man in diesem Sinne Darstellungen des aus dem Brunnen des Lebens trinkenden Hirsches ( z.B. auf dem Mausoleum in Galla), der so ein Gegenbild zur Schlange des Paradieses ist. Mitunter findet man ihn auf Darstellungen Adam und Evas, so z.B. auf dem Kupferstich Albrecht Dürers von 1504. Hier verweist er im christlichen Sinn auf eine Überwindung des Sündenfalls.
Als " König des Waldes" genießt der Träger des Geweihs schon immer besonderes Ansehen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bis heute nicht geklärt ist, warum Hirsche die große physiologische und stoffliche Belastung auf sich nehmen und ihr Geweih Jahr für Jahr im Herbst abwerfen, um es im Lauf des Frühjahrs unter der Bildung von mehreren Pfund Kalziumsalzen, die sie aus ihrer Gras- und Blattnahrung aufnehmen müssen, neu aufzubauen.
In unserem Jahrhundert hat sich ein Künstler immer wieder und sehr gründlich mit dem Leben des Hirsches befasst:Joseph Beuys. Schon in den Titeln früher Zeichnungen schlägt sich die Beschäftigung mit dem Tier nieder: "Hirschkuh" (1952) "Hirsch"(1955), "Hirsch und Mond"(1954), "Toter Hirsch auf Urschlitten"(1955), "Roter Hirsch"(1956). Schließlich als raumgreifende Installation "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch"(1958-1985, auch auf der Documenta 8, 1987.)
Die Bilder von Laurence Rogez lassen immer wieder an Beuys denken, man kommt in der Beschäftigung mit ihnen an ihm nicht vorbei. Da sind die Hirschköpfe und - Körper, die Geweihe, die Farben, besonders das Erdbraun und Beuyssche Kreuz, Braunkreuz. In motivlicher Hinsicht ist Laurence Rogez von Beuys fasziniert und inspiriert, einige seiner Themen - z.B. Tod, Geburt, Schwelle zum Unsichtbaren - finden sich bei ihr wieder.
In künstlerischer Hinsicht aber distanziert sie sich deutlich von ihm, da beschreitet sie ganz andere Wege: sie malt schnell, mit großzügiger Geste und grundsätzlich von der Farbe ausgehend, von Material und Stofflichkeit. Im Prozess der Entstehung entwickeln sich Formen, Strukturen, mitunter auch Motive. Der "Zufall" im Umgang mit den Materialien spielt da eine entscheidende Rolle.
Laurence Rogez spricht von "geführter Spontaneität." Farbe und Material eignet in ihrem vorgehen große Bedeutung, So sind in der > Hirschweihe < -Serie verwandten Materialien anspruchlose, raue, der Natur entnommene, nicht etwa glänzende Ölfarbe. Mit den Farben verbindet sie im Einzelnen auch Seelenqualitäten, mit dem Schwarz Verzicht, mit dem Braun Demut, mit dem Grau der Asche Opferbereitschaft und Vergänglichkeit, Gold versteht sie als "schwer gewordenes Licht", Weiß schlicht als Licht.
Laurence Rogez bekennt sich zum Schwarz, zu einer "Kunst ohne Schmuck, ohne Inhalt, ohne Romantik". Sie bezieht sich hier zum einen auf chinesische Kalligraphie, zum anderen auf den Maler des Schwarz im 20. Jahrhundert: Ad Reinhard. Auch Künstler wie Paul Klee und Henri Matisse äußern sich über das Schwarz als eine durchaus lebendige Farbe. Für Max Beckmann war es der unendliche Raum der Götter.
In unserem Bild ist das Schwarz auf einer Ebene Bild des Totes, des Leblosen. Wie aber das Schwarz Leben erhält, so ist der Tod hier auch nicht als Ende, sondern als die andere Seite des Lebens aufzufassen, als die andere Seite eines geistigen Prinzips.
Tauchen wir noch einmal ein in die Qualität der braunen Farbe und die, wie ich sie nennen möchte, radikalste Version des > Hirschweihe < - Themas.
Großzügig und schnell ist die Farbe hier aufgetragen, der Hirsch so flächig, ja hart in seinen Konturen wie auf keinem anderen der Bilder. An der Mittelachse orientiert ist diese Komposition extremer in der Zweiteilung: Leuchtendes, mit senkrechten Strichen aufgetragenes Hellbraun füllt die rechte Bildhälfte annährend aus und öffnet das Blatt nach rechts und unten. Gehalten wird die Farbe wie an einer Achse von einem rotbraunen Farbstreifen, den die Künstlerin in vielen horizontalen Fließspuren zu seiner Umgebung geöffnet hat. Er ragt über den hellbraunen Block hinaus und trägt an seinem oberen Ende ein goldenes Kreuz: Kristallisationspunkt, Sinnstiftung des großen Farbfeldes.
Der Körper des Hirsches ist mit wenigen großzügigen Strichen des Rotbraun grob bezeichnet. Er scheint zu liegen und doch ist er in äußerst zielstrebiger Bewegung: die Fließspuren hinten vermitteln den Eindruck als zöge er etwas, und sein Kopf ist in harter Kontur und dem scharf gezeichneten Auge ein Bild der Zielstrebigkeit, alles an ihm ist nach vorne orientiert, nur sein Geweih setzt da ein vertikales Zeichen. Es ragt senkrecht nach oben auf mit fühlerartigen Verzweigungen, die das Bild einer Antenne unmittelbar evozieren. Senden und Empfangen: auch ein Bild für die Tätigkeit der Sinnesorgane. Verwoben ist das Tier hier durch sein Geweih, jedoch nicht nur mit seiner näheren Umwelt, kabelartig spannen sich einige Linien quer über das Blatt und münden in die große braune Fläche in unmittelbarer Nähe des Goldkreuzes.
Seiner entschiedenen Ausrichtung und Konzentration nach außen seht ein stilles, fein ausgeformtes Innenleben gegenüber: auf den schwarzen Spalt, dem Hohl- und Innenraum des braunen Körpers, hat die Künstlerin eine kleine, fein ausgestaltete, liegende Figur in Gold gemalt, von deren Kopf eine Verbindungslinie zum Auge des Hirsches führt. Das Auge - das Sinnesorgan der Erkenntnis; es mag hier stellvertretend für alle Sinnesorgane des Hirsches stehen - ist also nicht nur in einer Wechselwirkung mit der Außenwelt, mit dem Wesen im Innern besteht eine feine, im Gold veredelte, direkte Verbindung.
Golden ist auch die größere Längung unterhalb des Hirsches (die goldenen Wesen lassen an Bilder des Italieners Enzo Cucchi denken), deren Fließspur in Bezug steht zu der des Goldkreuzes. Weniger eindeutig als Figur zu erkennen, mutet doch auch sie wesenhaft an und sie ist der Boden, der Grund, auf dem der Hirsch ruht, existiert. Zweifach goldgeweiht ist das Tier also und auch in sofern ist es das radikalste Bild der Serie: weil hier im Bild ausformuliert wird, was in anderen Versionen Geheimnis bleibt: die Weihe des Hirsches.
Auszug aus einem Text von Martina Siebeck, Kunsthistorikerin, Stuttgart
Hier der rote Faden...
Seit ca. 14 Jahren führen wir, mein Mann und ich, Reisegruppen in die Welt der Kathedrale von Chartres und insbesondere hat mich dort das Begehen des Labyrinthes jedes Jahr neu fasziniert. Jedes Mal ein ganz neues Erlebnis!
Was geschieht in diesen 11 konzentrischen Ringen, wo man immer wieder pendelt, von links nach rechts, von rechts nach links, 28 x umkehren muss und das Zentrum nie so weit entfernt ist als da, wo man es anzufassen glaubt...?
Dieser Weg , auch " Reise nach Jerusalem" genannt, ist auch eine art
- Pilgerweg: Bußweg, Heilsweg, Kreuzweg - das Kreuz ordnet das Lebenschaos -
- Läuterungsweg: durch die Ausrichtung auf das Zentrum
- Initiationsweg: durch das Umkehren der Sinne auf das Wesentliche
Motiv des Neugeboren-Werdens
Im Zentrum angekommen befindet man sich inmitten einer 6-blättrigen Rose.
Mit dem "Prinzip Umweg" lernen wir die Ausdauer, durch alle Umkreise sind wir einen Individuationsweg gegangen- vom Dualismus des Weges (links-rechts) zur Mitte (Einheit, Identität). In der Mitte wird die Zeit zum Raum, diese Ruhe lebt von den vorausgegangenen Bewegungen, sie enthält sie und erhöht sie in einen neuen Bewußtsseinsbereich : Einswerdung - Kon-zentration - Regeneration.
Deswegen der Titel der Arbeiten "Labor intus" = arbeiten hinein.
Es gibt auch architecktonische Entsprechungen zwischen der Westrose und dem Labyrinth:
1. beim "Kippen" der Westfassade würde der Westrose genau dem Labyrinth decken ( Diameter12,45m)
2. am 15. August lässt der Sonnenschein das Bild der Maria aus dem mittleren Fenster (unterhalb der Rose) auf die Mitte des Labyrinths fallen.
Die Rose in der Mitte bedeutet für mich so etwas wie ein "Maria-Werden" der Seele.
LAURENCE ROGEZ
> homo viator <
der Mensch auf dem Weg zur Mitte
Einführungsrede von Christophe Rogez
Ausstellungen in der Lukaskirche und im Rathaus Gerlingen
Vom 20.Januar - 3.März 2002
1. Begrüßung
Liebe Kunstfreunde, ich darf Sie ganz herzlich begrüßen zur Eröffnung der Ausstellung von L. Rogez. Ganz besonders begrüße ich die Gerlinger Kunstfreunde, den Gastgeber Herrn Bürgermeister Brenner. Der Stadt Gerlingen einen herzlichen Dank für die Möglichkeit hier in diesen schönen Räumen und in der Lukaskirche die Ausstellung zeigen zu dürfen mit dem Titel :> Homo Viator <, der Mensch auf dem Weg zur Mitte.
Der erste Teil der Ausstellung wurde letzten Sonntag in der Lukaskirche eröffnet. Dort hatte Herr Pfarrer Boy einige Arbeiten auf sehr einfühlsame und eindrückliche Weise als Bild-Meditation mit in den Gottesdienst integriert. Auch ihm ganz lieben Dank!
2. Zur Person
L. Rogez ist im Straßburg aufgewachsen. Ihre Schule befand sich in unmittelbarer Nähe des Münsters, sie erinnert sich wie ihr Schulweg durch das Kirchenschiff führte. Eindrücke aus Architektur, Skulptur, Fresken- und Glasmalerei waren somit Teil ihres schulischen Alltags.
Sie entschloss sich zum Kunst- und Malereistudium zunächst in Straßburg, dann in Basel und Bonn, obwohl, wie sie neulich sagte, eher die Architektur und die Philosophie sie anzogen. Antoni Tapies, ein zeitgenössischer Maler aus Barcelona, sagt . " Wer das wahre Wissen besitzt, spricht nicht mehr. Wenn ich Philosoph wäre, würde ich nicht malen, ich würde gar nichts machen. Das wäre das Schweigen des Zen. Aber man sucht ja das Licht, ich habe es noch nicht gefunden und deshalb male ich."
Vielleicht ist es die Bearbeitung und Verwandlung des toten Stoffes, der dichten Materie, die L. Rogez in der Architektur fasziniert. Auch das Empfinden, dass der Mensch sich selber erbaut durch die Architektur. Die Ursprünge der Baukunst liegen ja in allen Kulturkreisen im sakralen Bereich. Die Philosophie, durch das Licht des Denkens, des Erkennens baut ihrerseits Brücken zwischen den Lebensbereichen, die stets auseinanderzufallen drohen, dem Ich und der Welt.
Das Erleben und Erleiden dieser Gegensätze, die erwachende Suche nach Vermittlung, Verbindung, Durchdringung führen L. Rogez auch zur Dichtung. Zu ständigen Begleitern werden ihr jene Dichter, die um ein Wort von R.M. Rilke zu gebrauchen, die nüchterne Tatsachenwelt in " Weltinnenraum" verwandeln.
3. Werk- Entwicklung
Wer das Werk von L. Rogez kennt, kann verfolgen wie die Suche nach dem Licht, das den Stoff transzendiert auf allen Ebenen des Daseins von Welt und Mensch, zu einer zentralen künstlerischen Herausforderung wird.
Ganz konsequent mit beinahe wissenschaftlicher Akribie und strenger Arbeitsdisziplin sucht sie nach den geeigneten künstlerischen Mitteln.
Dies beginnt damit, dass sie ihre Farbe selber herstellt, um möglichst intim an ihrem Entstehungsprozess teilzuhaben. Dann trägt sie die Stofflichkeit mit in das Bild hinein. Ob es selbst gesammelte, eisenoxyd-getönte Erde ist, Fluss- oder Meersand, Holzaschen und verschiedene Beizen, darunter die Nussschalenbeize für den warmen Braunton, ob Halbedelsteinpulver des Lapis lazuli bis zum karätigen Blattgold... die Stoffe werden in den Malprozess mitaufgenommen und sehr differenziert bearbeitet, als wässrige Fließspuren durch gezieltes Bewegen und Drehen der Leinwand, als Ritzungen oder Schichtungen , als Collage.
Entscheidend dabei ist die spielerische Konzentration, die geführte Hingabe, wobei ihr die asiatischen Meister Vorbild sind.
Arbeitsmethodisch kommt hinzu, dass L. Rogez seit langem thematisch vorgeht. Ganze Bilder-Zyklen entstehen, die ein Kernmotiv entfalten, umkreisen und verdichten. Als Beispiele seien erwähnt :
- die Reihe > 7 Bäume < die die kosmische Planeten-Signatur in den Baumgebärden künstlerisch interpretiert.
- In dem Zyklus > Hirsch-Weihe < greift die Künstlerin das mythologische Bild des Hirschen auf, dessen Geweih wie Antennen zwischen den Welten vermittelt.
- Ein weiteres Thema entfaltet sich in der Reihe > In Limine < ,> an der Schwelle < oder > Mors Ultima Ratio < , Tod als letzte Vernunft.
- In > Lys et Calice < , Lilie und Kelch steht die Blüte in Kreuzform im Licht zwischen Himmel und Erde, auch da findet die große Alchemie von Licht und Stoff statt, die im Menschen sich fortsetzend zur Königslilie wird. Im Mittelalter sprach man vom Königsweg, als der inneren Bestimmung des Menschen.
Auszüge aus diesen umfassenden Zyklen sind chronologisch im Hause von unten nach oben zu sehen und in den Mappen ausführlich dokumentiert.
1999 unternahm die Künstlerin das außergewöhnliche Projekt
>365 ENGEL <,das einigen Anwesenden sicher bekannt ist. Auf das Jahr 2000 zuschreitend, malte sie täglich ein Bild, eine art Wächter des Tages. In der Gesamtausstellung dieses aus inneren Bildern konstituierten Jahres-Kalenders erhielt die taktierte, gleichförmige Zeit unserer Uhren Ihre Innenseite zurück.
Durch die Partizipation aller Sinne erblühte der Bildreichtum jedes einzelnen Tages und schloss sich in einen großen Jahres-Gesamtbildorganismus.
Über dieses Projekt und seine Weiterführung in Form von Auftragsbildern können Sie ebenfalls in den Bildmappen etwas erfahren, es gibt auch dazu ein Faltblatt zum mitnehmen.
4. Labyrinth Wie selbstverständlich steht seit zwei Jahren das Ur-Bild, das Ur-Symbol des Labyrinthes im Zentrum des Schaffens von L. Rogez, fasst es doch alle früheren Themen wie zu einer höheren Einheit zusammen : der Mensch zwischen den Welten auf dem Weg zur Mitte.
Ganz allgemein scheint auch unsere Zeit das Labyrinth - Bild heraufzubeschwören, man kann von einer Labyrinth-Renaissance sprechen.
Das uralte Bild, das alle Kulturkreise durchzieht bis in vorgeschichtliche Zeiten, als Felsritzungen in Grabanlagen zum Beispiel, taucht es auf unseren Marktplätzen wieder auf. In Kalifornien hat man es im Eingangsbereich einer Klinik angelegt, als Hilfe für den Patienten vor der Operation. Auch bei der Resozialisierung von Strafgefangenen, in der Kinesiologie wird es angewandt. Logopädische Labyrinthspiele, Videogames in denen der Held sich durchs Labyrinth kämpft, großangelegte Maislabyrinthe... in vielen Bereichen taucht das Bild auf.
( Nur vor dem Rathaus Gerlingen sah ich es noch nicht ! ) Was kennzeichnet ein Labyrinth?
Ein Labyrinth ist ein abgegrenzter Raum mit in der Regel einem einzigen Eingang, einem einzigen Weg der zum Zentrum führt. Das Besondere im Unterschied zur Spirale ist, dass das Labyrinth auf engstem Raum den längstmöglichen Weg beschreibt. Als Beispiel : das gotische Labyrinth in der Kathedrale von Chartres hat etwa 12,4 Meter Durchmesser, die Länge des Weges beträgt aber über 260 Meter. Dabei finden auf dem Weg unzählige Umkehrungen, Umwendungen statt. Der Weg verläuft aber ohne Sackgassen, er umkreist im rhythmischen sich-Annähern und sich Entfernen die Mitte, die bei genügender Ausdauer sicher erreicht wird. Das Labyrinth ist also kein Irrgarten.
Wir sind aufgefordert Labyrinth und Irrgarten, die im Sprachgebrauch verwechselt werden, im Leben zu unterscheiden. Das Internet z.b., Irrgarten in dem man abstürzt oder Labyrinth in dem man sich findet?
5. > HOMO VIATOR < der Mensch auf dem Weg,
Am 11. 09 wurde uns erneut bewusst, dass wir uns als Menschheits-Ganzes auf dem Weg befinden. Das Labyrinth stellt vieles in Frage was Grundbestandteil unserer modernen Industriegesellschaften geworden ist, vor allem die fortreißende Beschleunigung in allen Lebensbereichen, das lineare Bewusstsein, das auf dem kürzesten und schnellsten Weg zum Ziel eilt, sowie die grenzenlose Machbarkeit. In Kommunikation, Konsum und Leistung bis hin zum Sport waren dies bislang Garanten des Erfolges.
Ein chinesisches Sprichwort heißt :
" Hast du es eilig, so gehe einen Umweg"
Die Entdeckung der Langsamkeit, die Geduld, die Neugierde, die Beweglichkeit und Selbstbeherrschung sind die Geschenke des Labyrinthes, wenn wir es begehen. Statt Zeit zu gewinnen, sie zu vertreiben oder totzuschlagen, will die Zeit gelebt und gefüllt werden, dadurch kann etwas in uns reifen. Die Renaissance des Labyrinthes heute ist ein Zeichen für einen begonnenen, nötigen Wandel in der Tiefendimension unseres Bewusstseins. Ein bewegliches Denken, das statt auf Positionen zu verharren, stets zum Perspektivewechsel fähig ist, ein Denken das Zusammenhänge erfasst, das isolierte Fakten zu einem lebendigen Ganzen fügt und man kann sagen, ein visionäres, prophetisches Bewusstsein, das Zukunft entwirft, eine Zukunft, für die Mühe sich lohnt, das sind Wege, zu denen das Labyrinth auffordert, dass es auch in der Kunst, speziell in den aktuellen Bildern von L. Rogez zu uns spricht, zeugt davon, dass die Künstlerin ihr Ohr am Puls der Zeit hat.
Einige Bilder aus ihrem aktuellen Werk möchte ich mit Ihnen gemeinsam anschauen.
> Labyrinthos 3 <
- Einstieg von oben, man steigt hinunter in die Tiefe.
- Über das Bild hinausreichend :
- Jeder muss den Weg selber gehen.
- Dieser Individuationsprozess geht notgedrungen durch Krisen, Zweifel und wiederholtes Sterben
- Damit Neues entstehen kann
- Aschenbahnen und Lichtbahnen liegen nebeneinander
- Nacht-Todes-Seite gegen den Sonnenlauf
- Tag-Lebens-Seite mit dem Sonnenlauf
Gesetzmäßigkeit des Weges in sich rhythmisiert
Nach außen - nach innen - nach außen - nach innen
Kretisches Labyrinth auf Münzen
- Theseus, der den Minotaurus bezwingt : das Tier in der eigenen Seele verwandeln
- hinuntersteigen in die Selbsterkenntnis ( Liebe = Faden - " wähle Aphrodite, die Göttin der Liebe, zu deiner Führerin"
> Labyrinthos 4 <
- Stoff selber als Farbe - reines Pigment - leuchtendes, warmes Blau - mütterliches Element
- 1. Labyrinth = Uterus - Geburtsmotiv - Neugeburt nach dem Tiefgang
- dargestellt ist der Weg durch das Labyrinth = der Faden der Ariadne
- embryonale Hülle - weiblich-seelische Seite - schützend, wärmend, empfangend
- Motiv der Schale
- Bild der Tänzerin
- Quadratur des Kreises - Kreuz und Kreis = Erde und Himmel vermählen
- Mensch und Gott / Männliches und Weibliches sich vermählen
- Ariadne - Aphrodite ( siehe Orakelspruch an Theseus )
> Labyrinthus 1 <
- Kontinuität des Bewusstseins in der Menscheitsgeschichte
- Vorchristliche Labyrinthe mit dem nachchristlichen verbunden , auch da eine Brücke zwischen den Welten.
- Gewachsenes Kreuz, über ganzes Labyrinth - Kreuz mit der aufgerichteten, alle Weltendimensionen umfassenden Menschengestalt.
- Kreuz als Heilzeichen, als Integration aller Dimensionen
- Durchdringung der Kräfte, daraus neue Mitte erblühend.
- Labyrinth von Chartres:
- Pilgerweg
- Weg durch die Architektur: Aufstieg - Altar spiegelnd - Läuterung
- Rosenfenster - Wenden am Kreuz, der Lebensweg wird zum Schicksalsweg : die Erfahrungen, Begegnungen auf dem Weg sind es, die zur Reifung und zur Blume der Mitte führen.
- Der Weg wird heilig
- Vieles über die Zahlensymbolik : 4 x 7 = 28 Umkehrungen
- 11 Umläufe + 1
- 6
> Erde - Asche - Gold < Triptychon
- reine Stoffe
- wiederkehrendes Kreuz durchzieht, umspannt / Weltenachse
- Schale im Kreuzungspunkt
- Labyrinth führt zum Ich : jetzt wird es zur Schale("Muot-Dienemuot") Erde / Sand : Wärme des Mütterlichen
- Asche : Fließspuren - Form auflösend - Tränengefäß
- Gold : Goldglanz - Asche grundiert
Entstehung der Bilder : im Unterschied zur sonstigen Arbeitsweise im voraus konzipiert - 10.09. 2001 + 11.09 am Morgen : Erde- Bild - 11.09 Nachmittag nur Aschen / erst am Abend erfuhr sie von den apokalyptischen Ereignissen. Die Künstlerin hatte intuitiv etwas erfasst, das Erschreckende für sie war, dass sie die Bilder in der Reihenfolge geplant hatte.
> HOMO VIATOR <
- auch ein Triptychon : Mittelbild und Doppelflügel
- reduzierte Form- und Farbelemente auf schwarzem Untergrund
- in 5 Stationen
- Labyrinth als durchgehendes Motiv wie Gestirn ab und aufsteigend
- Lebenselement / Vertikalität : 7 Fach rhythmisiert
- Labyrinth : goldene Sphäre leuchtend vom Schwarzgrund sich abhebend
- unvermittelt, dichtestes und undurchdringliches fast materielles Schwarz / leuchtendes Gold-Licht als Wärme + Licht
- ganz außen das T / Helm / Schale -umgekehrter Helm ( männlicher + weiblicher Pol)
- schwarzes Tau : Kreuz der Erdpunkte, auseinandergelegt in 2+4 - 3 Verticale - Horizontale Exaltation - ampleur
- Raumverschiebung des Labyrinthes . man schaut auf das Labyrinth über sich im 1. Bildteil, unter sich im 2.+ 3. Bildteil, vor sich im 3. + 4.Bildteil - Weg zur Mitte
- Bildteil 1: kosmische, paradiesische Stufe Labyrinth schwebt wie Geist Gottes über den Wassern, empfangende Erde - Lebensbaum. Gleichgewichts-Urzustand.
- Bildteil 2: gewaltiger Schritt, Vertikalisierung. Helm : Kampf, Eisen gründet die materielle Kultur aber hier golden- geistiger Kampf, geistiger Herrscher auf seinem Lebensweg ( Rolandslied - blühende Lanzen + Epheser Brief 6,10)
Was ist geschehen zwischen Bildteil 1 und Bildteil 2 und ist ungemalt? Im Durchwandern des Triptychons, der Einzelbilder und ihrer Intervalle der Verwandlung nachlauschend, durch Verlangsamung, der Vielschichtigkeit behutsam aber ausdauernd nachgehen. Das Bild ernst nehmen, nicht die Bedeutung außerhalb suchen ( kann jeder nur allein, aber kann es auch.)
Dadurch entsteht im Betrachter ein Neues. Er geht selbst den dargestellten Weg, schaut nicht nur von außen, sondern schreitet auf ihm... auf dem Weg zu seiner Mitte.
" Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
das ist die Frucht, um die sich alles dreht". R.M. Rilke
Pressespiegel: >HOMO VIATOR<
Lebensbahnen auf Leinwand
Lugwigsburger Kreiszeitung - 7. Februar 2002- Auszug aus dem Bericht von Rainer Enke
Gerlingen - Gleich an zwei Orten werden in Gerlingen die mythischen und mystischen Bilder voller Symbolik der Malerin Laurence Rogez gezeigt: im Rathaus und in der Lukaskirche.
> HOMO VIATOR <, so der Titel der Ausstellung, ist das Ergebnis der intensiven Beschäftigung von Laurence Rogez mit dem Motiv des Labyrinths, dem Symbol des Weges und des Lebensweges der Menschen.
Ihre meist großformatigen, mit dem Kontrast von erdenen und leuchtenden Farben spielenden, aussagekräftigen Bilder vermitteln einen ruhigen, tiefsinnigen und hintergründigen Eindruck. Sie sind großteils geprägt von tief religiösem Christentum und dessen Motiven. "Man schaut nicht nur hin, man wird auf den Weg genommen."
Schon als Gymnasiastin führte sie ihr Schulweg täglich am Straßburger Münster vorbei. Die Bearbeitung und Verwandlung toter Materie in Architektur hinterließ bleibende Eindrücke in ihr.
Das gotische Labyrinth in der Kathedrale von Chartres, das sie immer wieder besucht, brachte ihr das Thema näher: ein abgegrenzter Raum, ein Weg, ein Ziel, Synonym für die Lebenswege des Menschen. Sie fasziniert das rhythmische Sich-Annähern und- Entfernen zu und von der Mitte, ohne dass das Labyrinth zum Irrweg wird.
Laurence Rogez stellt alle Ihre Farben selbst her, fügt Selbstgesammeltes mit ein, arbeitet mit Nussschalenbeize, Pigmenten, Blattgold, Kupfer, Erde, Asche oder Lapislazuli. Kreuz- und Kreisformen, Rundungen, Windungen, Lichtbahnen, Kelche bestimmen ihre Bilder. Fließspuren durch Drehen der Leinwand sind gewollt. So bei dem Dreiteiligen Zyklus > Erde, Asche, Gold <. Das Bild "Asche" begann sie am 11. September. Sie erfuhr erst am Abend von den Anschlägen, ließ das Bild acht Tage ruhen, Farben flossen wie dunkle Tränen in einem Kelch. Danach begann sie "Gold", wo der Kelch in strahlendem Licht erscheint.
In anderen Bildern weisen Lichtbahnen durch helle und dunklere Bahnen des Labyrinths. Laurence Rogez will die Zeit im Labyrinth als gelebt und gefühlt verstanden wissen. In > Labyrinthos 3 < wird der Blick des Betrachters von dem reinen Blau des Pigments aufgenommen, in eine runde Formensprache, einen mütterlichen Bereich gelenkt: eine embryonale Begegnung mit "Mutter Erde". Kein Zweifel, die metaphorischen Bilder mit ihren warmen Farbtönen laden zum stillen Meditieren ein.